11/17/2006

Aus den Archiven - Teil I - The Atomic Bitchwax

Well, wieso nicht? Hier fliegt soviel Geschriebenes herum, dass es zu traurig wäre, es einfach ungelesen verkommen zu lassen (okay, bis auf die handvoll Leute, die Stories wie folgende bei Erscheinen in die Hände bekommen haben) The Atomic Bitchwax, die aktuell auch wieder brav touren (wenn auch nur in den Staaten), habe ich vor 2 1/2 Jahren vors Mikro gezerrt und konnte ihnen ein paar - mehr oder weniger - interessante Statements abringen.

Es war die erste Tour mit Finn Ryan, dem neuen Mann an der Gitarre, nachdem Ed Mundell endgültig das Handtuch geworfen hatte. Mittlerweile hat diese neue Formation ein Album ("3") und eine EP ("Boxriff" - drei neue Songs, eine Live-Show auf Band, eine in Farbe (damit man Chris Kosniks flinke Finger bewundern kann)) zustande gebracht und es scheint, als wäre nach viel zu langer Zeit endlich Ruhe eingekehrt und die Herren können - endlich - richtig durchstarten.

So, nun aber zu etwas Unaktuellem - der Story, die vor über zwei Jahren das Licht der Welt erblickte und erstmals im Slam Nr. 15 erschien. Junge, wie die Zeit vergeht.

THE ATOMIC BITCHWAX

“Etikette tötet!”

Bevor wir uns an dieser Stelle mit der Band THE ATOMIC BITCHWAX beschäftigen, ist ein kurzer Ausflug in die weite Welt der musikalischen Terminologie angebracht: Wer sich mit Siebziger-Jahre-inspirierter Musik, mit Rhythmen die einen zwischen treibend und schleppend hin und herzerren und Riffs, für die das Prädikat „sphärisch“ noch untertrieben ist, auseinandersetzt, kommt um einen Begriff nicht herum: Stonerrock, so will uns das gemeine Musikvolk glauben machen, ist die heiße Scheiße mit der wir es zu tun haben. Aber genau dieses Wort verbietet die Etikette und im Gespräch mit Bands, die gerne als „Stoner“ eingestuft werden gibt es wohl keinen schlimmeren Faux-Pas, wie auch Drummer Keith Ackerman findet: „Dieser Begriff klingt nach etwas Langsamen und Dummen und das sind wir nicht. Ich weiß nicht mal, welche Bands Stonerrock sind, obwohl jeder mit dem Begriff um sich schmeißt. Warum sind KYUSS Stonerrock? Sind dann QUEENS OF THE STONE AGE auch Stonerrock? MONSTER MAGNET sind es nicht, aber BITCHWAX. Oder: MAGNET waren es mal und jetzt nicht mehr. Wen kümmert das? Es ist Rock, und das zählt. Natürlich sind wir ab und zu stoned, aber spielen wir deshalb Stonerrock? Für mich ist der Begriff nach wie vor zu negativ. Man könnte dann gleich sagen: das ist Dumm-Rock oder Blöd-Rock. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bestimmte Label ihre Kohle in etwas investieren würden, das den Namen Stonerrock trägt. Das ist ein dummer Begriff und die meisten Bands tun gut daran sich so weit wie möglich davon fern zu halten. Für mich ist es einfacher Rock. Wir haben so viele Einflüsse und ich spiele definitiv nicht Stoner-Drums, was auch immer das sein könnte.“

Gemeinsam sind wir stärker. Oder: Der kollektive Wahnsinn

Auch ein gewisser Herr Homme sollte schon mal gegen diesen Begriff gewettert haben, doch das ist nur eine von vielen Parallelen in diesem Rock-Kosmos: Die Szene rund um THE ATOMIC BITCHWAX kann als Spiegelbild des Joshua Tree-Kollektivs in Kalifornien gesehen werden, oder wie es Phil Caivano allabendlich auf der Bühne zur Schau trägt: „Don´t Mess With Jersey!“ Der Versuch einen Band-Stammbaum zu erstellen, scheitert spätestens bei der dritten Abzweigung: Sänger und Bassist Chris Kosnik fährt nebenbei noch ein Rock-Brett mit BLACK NASA, Keith versuchte sich bei SOLACE; beide tingelten eine Zeit lang mit Tommy Southard und Shane Green (Ex-NUDESWIRL) als SLAP ROCKET durch die Rock-Geschichte und der neue Mann an der Gitarre, Finn Ryan, unterhielt gemeinsam mit Bruder Tim und Bassist Carmine Pernini eine Band namens CORE. Dieses Spiel könnte man ewig weiterführen, aber was am Auffälligsten ist: Sämtliche Mitglieder und Ex-Mitglieder der großen Rock-Familie stammen aus derselben Umgebung und die Entscheidung, dass Finn nun bei THE ATOMIC BITCHWAX die Gitarre bearbeitet, war für Keith scherzeshalber eine rein pragmatische: „Finn lebt gleich in der Nähe vom Proberaum, deshalb funktioniert es so gut, haha.“ Was den Bandalltag aber nicht unbedingt erleichtert, wie Chris einwirft: „Wir müssen ihn trotzdem abholen, obwohl er nur 150 Meter zu Fuß gehen müsste.“

In Szene gesetzt

Diese Zusammengehörigkeit mag vielleicht etwas Hippie-esk wirken, aber im Grunde ist sie nur die Inkarnation des alten Grundsatzes „Support Your Local Scene“. „Ich würde diese Szene sicher als Familie bezeichnen. Jeder von uns spielte schon in der Band des anderen und wir unterstützen uns gegenseitig. Das ist vielleicht der Grund, warum es diese Szene schon so lange gibt. Das Ganze ist definitiv eine Art Familien-Ding,“ so liebevoll umschreibt Chris die Szene, der er entspringt und wer sich einmal mit den einen oder anderen Jersey-Rockern beschäftigt, der wird sich so schnell nicht mehr losreißen können, und für Keith ist genau dieses familiäre Gefühl der Grund dafür: „Vielleicht interessieren sich mehr Leute dafür, weil es eine ganze Szene ist und nicht bloß eine Band. Das macht die Menschen glauben, dass hier so einiges los ist.“ Wo THE ATOMIC BITCHWAX herkommen gibt es definitiv noch viele feine Bands zu entdecken und zwei von ihnen waren mit von der Partie, als es diesen Frühsommer „Ab nach Europa!“ hieß. Im Schlepptau hatten sie Chris Kosniks Zweitband BLACK NASA und die New Yorker KREISOR (ehemals AYTOBACH KREISOR). Ein Package wie ein Märchen für den gediegenen Rockfan, doch wie so oft wusste man das nicht allerorts zu schätzen und die Bitchwax-schen Berichte reichen von einer handvoll Zuschauer, die sich lieber an der Bar aufhielten, bis zu locker gefüllten Clubs. Was für manche an Blasphemie grenzen mag, lässt die Jungs selbst milde mit den Schultern zucken. „Natürlich gefällt es uns, wenn viele Leute zu unseren Shows kommen, aber das heißt nicht, dass wir bei wenig Resonanz den Leuten nicht das bieten, für das sie hier sind. Immerhin sind sie es, die nach der Show nach Hause gehen und ihren Freunden von der Show erzählen und die kommen möglicherweise das nächste Mal, wenn wir hier sind.“

„We don´t use that much pyro when no one shows up.“ (Keith Ackerman)

Das europäische Publikum nach längerer Abstinenz wieder an THE ATOMIC BITCHWAX zu erinnern war aber nicht der einzige Grund für diese Tour. „Wir wollen Finn in die Band eingliedern und auch gemeinsam etwas Übung bekommen, bevor wir ein neues Album aufnehmen,“ so Keith zu den hehren Zielen der Tour. Dass sich Finn erst eingewöhnen muss, steht außer Frage, denn immerhin tritt er in die Fußstapfen des Herrn Ed Mundell und böse Zungen behaupten es gäbe eine nicht außer Acht zu lassende Dunkelziffer, wie viele Menschen nach wie vor zu THE ATOMIC BITCHWAX-Konzerten gehen, um „den Gitarristen von MONSTER MAGNET“ zu sehen. Nun, Pech gehabt. Aber in diesem Sinne eigentlich Glück, denn Finn Ryan beweist nicht nur, dass er an der Gitarre seinem Vorgänger um Nichts nachsteht, er nimmt Chris Kosnik auch ab und an die Last des Singens ab, ansonsten hält er sich aber gerne im Hintergrund: „Wenn wir gemeinsam Songs schreiben, überlegen wir, wie sie für die gesamte Band klingen sollten. Insofern habe ich nicht soviel Einfluss auf die Band selbst, aber dadurch, dass ich auch singe, werden die neuen Songs sicherlich anders klingen.“ Auch Chris ist froh über Finns Einstieg, gerade was den Gesang betrifft, „Wir arbeiten jetzt auf einer anderen Ebene. Finn und ich wechseln uns beim Gesang ab, es ist also nicht mehr bloßes Geschrei, sondern Harmonien. Früher lief es immer nach dem Motto: Sobald ein Break kommt, schreie ich ins Mikro: Yeah, Yeah, Yeah!“

„Play it again, Sam!“

Die Geschichte erinnert an einen alten Grundsatz. Wenn du beim Tarot die Todeskarte ziehst, bedeutet das nicht das Ende sondern vielmehr einen Neuanfang und der Ausstieg Eds ist für Chris das beste Beispiel hierfür. „Das eigentliche Problem war, dass wir nie Pläne für die Zukunft machen konnten. Auch wenn wir welche hatten, kam Ed und ließ sie platzen, weil Monster Magnet Vorrang hatten. Bis zu dieser Tour war das der Fall. Eine Tour für Dezember war geplant, und Ed sagte ab. Dann wollten wir die Tour im Januar nachholen, Ed sagte auch diese ab. Wir mussten uns einfach weiter bewegen. Mit Ed hätten wir auch diese Tour nicht spielen können, weil er noch immer mit MONSTER MAGNET unterwegs ist. Wir würden also noch immer zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Wir haben Ed die Wahl überlassen, er hatte jeden nur erdenklichen Entscheidungsfreiraum, und er entschied sich für MAGNET. Damit ist er glücklich und ich bin glücklich mit Finn zu spielen.“ Damit schließt sich der Kreis und alle sind glücklich und zufrieden. Das Jersey-Kollektiv reicht sich die Hände und THE ATOMIC BITCHWAX sind auf dem Sprung zu neuen Ufern. Nach ihrer Europa-Tour nehmen sie eine kurze Auszeit um im Spätsommer die Vereinigten Staaten unsicher zu machen. Im Eiltempo geht es dann voran, ab ins Studio um Finns Können auf der Bühne schlussendlich auch auf Platte zu pressen. THE ATOMIC BITCHWAX sind wieder an der Oberfläche und die Zeit des ewigen Nebenprojekts ist endgültig vorbei, was vor allem Chris erfreut, „Niemand von uns behandelt THE ATOMIC BITCHWAX als ein Nebenprojekt, weil jeder von uns all seine Energie in die Band steckt, jede Sekunde.“ Diese Energie ist spürbar, denn sie geht ungebremst in die Musik über und in die Live-Shows, die in Zukunft niemand verpassen darf. Ende des Jahres sollte es laut Finn eine neue Platte von THE ATOMIC BITCHWAX geben, und dann gibt es nichts mehr, was diese Band aufhalten könnte. Denn wie meinte Keith so schön: „Es gibt nur zwei Arten von Musik. Gute Musik und schlechte Musik.“ In Ordnung, dieser Spruch ist zwar schon alt, dennoch gehören THE ATOMIC BITCHWAX mit Sicherheit zu den Guten.

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